Die Geschichtsspuren bewahren

Die verloren gegangene Sockelpartie wurde nach Vorlagen neu rekonstruiert
Die verloren gegangene Sockelpartie wurde nach Vorlagen neu rekonstruiert

[Artikel aus Perpektiven 12/2016]

Bochumer Fachbetrieb Holz und Form restauriert Möbel und Denkmäler

Wolfgang Nonnenmacher tränkt seinen Polierballen aus Stoff mit der Schelllackpolitur und trägt sie mit schnellen, gleichmäßigen Bewegungen auf die Holzoberfläche auf. Circa 40 Arbeitsgänge sind notwendig, bis die Oberfläche in einem Tiefenglanz erstrahlt, der für den diplomierten Raum- und Stadtplaner unvergleichlich ist: „Es gibt keinen Lack, der das Holz besser zur Geltung bringen würde als die Schelllackpolitur“, sagt der Tischlermeister, der 2004 seine zweijährige Ausbildung zum Restaurator im Handwerk an der Akademie Schloss Raesfeld abgeschlossen hat.

Bei der Restaurierung ist viel Handarbeit gefragt.<br> Bild: Monika Dieckmann
Bei der Restaurierung ist viel Handarbeit gefragt.
Bild: Monika Dieckmann
Nonnemacher zeigt wie der Wärmeverlust um ⅔ reduziert wird. Bild: M.Dieckmann
Nonnemacher zeigt wie der Wärmeverlust um ⅔ reduziert wird. Bild: M.Dieckmann

Seit 1987 führt Wolfgang Nonnenmacher gemeinsam mit dem Tischlermeister Michael Kaiser in Bochum den Betrieb „Holz und Form“, der seit dem Jahr 2006 einer von 20 zertifizierten „Fachbetrieben für Denkmalpflege“ in Deutschland ist. Aktuell beschäftigen die beiden Inhaber neun Mitarbeiter und zwei Azubis. Neben dem Einbruchschutz ist die Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden, die bis zu 60 Prozent der Umsätze ausmacht, das wichtigste Standbein der Bochumer Tischlerei: „Wir haben die Entscheidung getroffen, uns auf Nischen zu spezialisieren“, sagt der Restaurator, der in einem kleinen, alten Dorf in Süddeutschland aufgewachsen ist. „Wir wollen uns von den anderen abheben, aber es hat auch viel mit Leidenschaft zu tun.“

Wolfgang Nonnenmacher restauriert im Jahr bis zu 40 Möbel und Holzobjekte, manchmal sind es auch nur zehn – mit sinkender Tendenz. Seine Kunden bringen ihm Biedermeiersekretäre mit Geheimfach, Barock-Kommoden aber auch schon einmal eine Holzfigur, an denen der Zahn der Zeit genagt hat. Meist sind es alte Liebhaberstücke oder Erbstücke, die für ihre Besitzer vor allem einen ideellen Wert haben.

„Leider sind Antiquitäten derzeit nicht gefragt, sie gehören nicht zum aktuellen Einrichtungsstil. Dementsprechend verfällt auch der Marktwert“, sagt der Restaurator.

Geduld und Sorgfalt

Gewissenhaft kartiert und dokumentiert Wolfgang Nonnenmacher alle Schäden, wie verschlissenen Lack, lose oder verloren gegangene Profilteile, defekte Beschläge, eine herausgebrochene Glaseinkittung, Risse oder offene Fugen. Sie werden mit aufwändigen Verfahren in Handarbeit beseitigt, jede Korrektur wird ausführlich dokumentiert. Seine Arbeit an Antiquitäten und Denkmälern erfordere die größte Sorgfalt und Geduld: „Für die Herangehensweise gibt es kein Rezept, wir müssen jede Stelle neu diskutieren“, sagt Nonnenmacher, der von mehreren Mitarbeitern und Azubis, die er in die Restaurierungstechniken einführt, unterstützt wird. Auch nach über zehn Jahren entwickele er immer noch neue Methoden und verfeinere die Techniken, um rationeller zu arbeiten: „Ich lerne jeden Tag neu dazu.“ Wolfgang Nonnenmacher verändert zum Beispiel immer wieder leicht die Rezepturen alter Leime, die aus Knochen, Fisch oder anderen organischen Stoffen hergestellt werden, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Ein großer Vorteil ist, dass sie auch noch nach über 100 Jahren durch Wärme erneut aktiviert werden können. Kommt beispielsweise an einer Stelle das Furnier hoch, verbindet es der Restaurator mithilfe erwärmter Zulagen, die mit einer Zwinge an das Furnier gepresst werden, wieder fest mit dem Untergrund.

Sogenannte Geschichtsspuren, wie Umbauten oder frühere Restaurierungen, Tapetenreste auf der Rückseite, ein Tintenfleck in der Schublade oder der Name der Urgroßoma des Besitzers, den sie als Kind eingeritzt hat, beseitigt Wolfgang Nonnenmacher jedoch nicht unbedingt – es sind Zeugnisse der Geschichte des Möbels. Dass die Objekte nach dem Restaurieren wieder „in neuem Glanz erstrahlen sollen“, sei ein häufiger Irrtum, so der Restaurator: „Die Patina ist die alterstragende Schicht. Dazu gehört die alte Oberfläche genauso wie Veränderungen in der Plastizität.“

Der Stellenwert des Denkmalschutzes sinkt

Die Tischlerei Holz und Form übernimmt in der Denkmalpflege die Restaurierung von Bauteilen aus Holz, wie Tore, Türen, Kirchenportale und Fenster, aber auch Wandverkleidungen, Fußböden und Kirchenbänke.

Wolfgang Nonnenmacher ist außerdem einer von ganz wenigen Gutachtern seiner Zunft für denkmalgeschützte Gebäude. So hat er unter anderem Gutachten für das Kunstmuseum in Gelsenkirchen, die Wasserburg Vischering oder das Schloss Senden erstellt. Er beobachte mit Sorge, dass der Stellenwert des Denkmalschutzes in den Kommunen sinke. Seiner Erfahrung nach gingen bei der Sanierung oftmals über 80 Prozent der historischen Bausubstanz verloren – vor allem im Namen der Energieeinsparung, obwohl die EnEV für denkmalgeschützte Häuser gar nicht gilt: „Die energetische Sanierung beißt sich mit der Substanzerhaltung.“

Wolfgang Nonnenmacher erlebt es häufig, dass alte Holzfenster aus Kostengründen viel zu schnell durch moderne Fenster mit aufgeklebten Sprossen ersetzt werden, obwohl alte Holzfenster extrem haltbar sind. Oftmals sei das Holz nur oberflächlich angegriffen, zudem könnten marode Teile ersetzt werden: „Das Urteil ‚Das kann man nicht mehr reparieren´ ist oft eine Fehleinschätzung. Da fehlt dann das Know-how“, sagt der Restaurator. Er bedauert es, dass die alten Fenster mit ihren oftmals filigran verzierten, gusseisernen Beschlägen meist im Container landen.

Wolfgang Nonnenmacher führt seinen Kunden gerne anhand eines Musterfensters in seinem Betrieb vor, wie alte Fenster auf einen komfortablen Wärmeschutzstandard gebracht werden können. Dafür setzt er eine mit Silberoxid beschichtete Glasscheibe vor das alte Glas, die den Wärmeverlust im Vergleich zur Einfachverglasung auf ein Drittel reduziert. Die Arbeit als Restaurator habe sein Bewusstsein dafür geschärft und sein Stilbewusstsein verfeinert: „Ich nehme Gebäude jetzt ganz anders wahr. Der Erhalt der sichtbaren Zeugnisse unserer Vergangenheit hat einen hohen gesellschaftlichen Wert“, sagt der Tischlermeister: „Unsere Vergangenheit gehört zu unserer Identität – sie darf uns nicht wegbrechen.“ 

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Text: Monika Dieckmann

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Artikel in der Zeitschrift »Perspektiven« 12/2106 (PDF)213.33 KB